Harzletter, der Einhundertneunundzwanzigste.
Der Frühling kommt. Die Sonne wird kräftiger, ganz langsam zeigen sich die ersten kleinen Blüten. Zeit, vor die Tür zu gehen, vielleicht für eine erste kleine Wanderung.

Ich suche mir Friedrichsbrunn aus mit einem besonderen Ziel, das ich schon lange auf meinem Zettel habe: das Bonhoeffer-Haus.
Entdeckt habe ich das zufällig bei einer meiner Touren im vergangenen Jahr. Das Café dort hatte leider geschlossen, so konnte ich es mir nicht näher ansehen.
Aber jetzt.
Die besondere Geschichte des Bonhoeffer-Hauses
Das Bonhoeffer-Haus in Friedrichsbrunn heißt so, weil es ab 1913 das Ferienhaus der Familie Bonhoeffer war. Das würde heute kaum jemand interessieren, wenn nicht Dietrich Bonhoeffer zu dieser Familie gehören würde. Der Theologe und Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler, der am 9. April 1945 kurz vor der Kapitulation auf besonderen Befehl des Föööhrers im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde.

Deutsche Geschichte, auch kirchliche Geschichte, und ein ganz kleiner Zipfel davon fand eben auch in Friedrichsbrunn statt. Wobei es schon erleichternd ist, hier einmal mit der „guten“ Seite zu tun zu haben und einem guten Deutschen aus der Nazizeit zu begegnen (Foto: Dietrich Bonhoeffer mit Schülern, 1932. Copyright: Bundesarchiv Bild 183-R0211-316, Wikimedia commons).

Die Basis-Fakten zu dem Bonhoeffer-Ferienhaus:
1913 erwerben Karl und Paula Bonhoeffer, die Eltern von Dietrich und seinen sieben Geschwistern, das Haus in Friedrichsbrunn. Familie Bonhoeffer lebt gut situiert in Berlin, Friedrichsbrunn wird regelmäßiger Ferienort. Das Haus selbst ist nichts Besonderes: Backstein, einigermaßen geräumig mit einem großen Garten und Platz genug für die Kinderschar. Es sieht heute fast genau so aus wie auf alten Fotografien, neu ist der Anbau des Cafés.

Zur Geschichte: Das Haus blieb auch nach der Nazizeit in Besitz der Familie; als aktive Widerstandskämpfer waren die Bonhoeffers unantastbar. 1998 verkauft die Erbengemeinschaft das Haus. 2008 mietet der evangelische Kirchenkreis Halberstadt Räume an mit dem Ziel, dort das Gedenken an die Familie Bonhoeffer wach zu halten. Gabriela Zehnpfund und Thomas Zehnpfund-Damm richten im Haus das Bonhoeffer-Café ein. Am 31. August 2014 wird die Ausstellung „Die Familie Bonhoeffer in Friedrichsbrunn“ eröffnet. Sie entsteht in Kooperation des Vereins „Bonhoeffer-Haus Friedrichsbrunn“ mit der Hochschule Harz.




Zwei Räume werden neu und modern gestaltet; hier werden das Leben in Friedrichsbrunn und das tragische Sterben von Dietrich, seinem Bruder Klaus und den Schwägern Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher als Dauerausstellung gezeigt.
An einem schönen Vorfrühlingstag kann man wunderbar auf der Terrasse sitzen, Kuchen und Kaffee sind von bester Qualität, die ganze Atmosphäre stimmt einfach. Das Bonhoeffer-Café ist ein Erinnerungsort an längst vergangene Harz-Zeiten und natürlich an Dietrich Bonhoeffer, der hier einen Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht hat. Geschichtsunterricht auf eine ganz besondere Art.

Und so ganz nebenbei ist das Bonhoeffer-Haus auch ein prima Ausgangspunkt für einen ersten Frühlingsspaziergang. Man kann dort einfach der Nase nach loslaufen – rund um Friedrichsbrunn ist alles schön – , oder den Wanderflyer, den es im Café gibt, als Führer nutzen.

Ich entscheide mich für Variante eins und mache mich auf einen kurzen Weg dorthin, wo vor ein paar Wochen noch die Langlauf-Skifahrer in der Spur waren. Es riecht noch nach Winter, die Wiesen sind eher bräunlich als grün, Birken und andere Bäume sehen noch entsprechend trostlos aus. Aber die Sonne wärmt schon, und einige Friedrichsbrunner sind mit ihren Hunden ebenfalls unterwegs.
Unterwegs rund um Friedrichsbrunn
Noch ein paar wärmere Tage, dann wird die Natur hier und im gesamten Harz explodieren; man kann es fast schon fühlen.
Zurück im Bonhoeffer-Haus bleibt noch ein bisschen Zeit, über Dietrich im Internet zu lesen. Kaum ein evangelischer Theologe ist auch heute noch ähnlich einflussreich, dabei wurde er nur 39 Jahre alt.

Und immer noch empörend, wie sein Widerstand nach der Nazizeit bewertet wurde. In der DDR wurde Bonhoeffer als antifaschistischer Kämpfer geehrt, auch wenn die Versuche, ihn mit dem Sozialismus in Verbindung zu bringen, eher abwegig waren. Im Westen galt er als Musterbeisiel des (ansonsten kaum vorhandenen) kirchlichen Widerstands gegen Hitler. Allerdings wurden laut Wikipedia 1956 vom Bundesgerichtshof diejenigen, die Bonhoeffer, Dohnanyi und weitere zum Tode verurteilt hatten, rehabilitiert: „In einem Kampf um Sein oder Nichtsein sind bei allen Völkern von jeher strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen worden.“ Einem Richter könne „angesichts seiner Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze“ kein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn er „glaubte“, Widerstandskämpfer „zum Tode verurteilen zu müssen“.
Dieses galt bis in die 1990er Jahre, so dass Dietrich Bonhoeffers Verwandten zum Beispiel keine Entschädigungen als Verfolgten des Naziregimes zugesprochen wurden.
Ein schönes Beispiel für die „Unparteilichkeit“ der Justiz.
Große Politik und große Schicksale. Alles ziemlich hautnah erlebbar im Garten eines Backsteinhauses im eher verschlafenen Friedrichsbrunn.

Kleine Beobachtung am Rande: Friedrichsbrunn war mal einer „der“ Wintersportorte zu DDR-Zeiten und begehrtes Urlaubsziel nicht nur im Winter. Heute ist davon fast nichts mehr übrig, und wer am längst geschlossenen „Hotel Brockenblick“ vorbei kommt, kann den Abstieg ganz hautnah erleben. Durch die Scheiben sieht man die voll eingedeckten Frühstückstische, draußen hängt ein Schild „zu verkaufen“, und der ganze einstmals große Komplex rottet mitten im Ort still leicht morbide vor sich hin.
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Vergangene Woche ging es um die Ergebnisse der Bundestagswahl im Harz.
Davor habe ich den Hexentanzplatz in Thale besucht.
Dann war da noch das Faschings-Eisbaden nach Hasselfelde.
Über den Stand bei den Umbauarbeiten beim Quedlinburger Stiftsberg geht es hier.
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Auf Instagram findet der Harzletter auch statt: www.instagram.com/harzletter.de/