Harzletter, der Einhundertvierte.
Die „Harzreise“ und Heinrich Heine gehen weiter – auch wenn ich in den vergangenen zwei Wochen bereits einiges darüber geschrieben habe. Hier folgt der Start in den Harzer Hexenstieg, den es zu Heines Zeiten noch gar nicht gab, aber der deswegen nicht weniger steil anstieg.
Es ist heute genau 200 Jahre her, dass ein leicht verbummelter Jura-Student in Göttingen losmarschierte, um zunächst den Brocken zu besteigen und dann weiter nach Weimar zu laufen.
Das Buch, das er über diese Wanderung schrieb, ist auch heute noch eins der beliebtesten Harz-Bücher; „Die Harzreise“ war der eigentliche Beginn der literarischen Karriere von Heinrich Heine (das war der Bummelstudent).
Hier geht es um die zweite Etappe, dem Hexenstieg, der in Osterode am Parkplatz Bleichenstelle beginnt. Hier, auf dem Weg nach Clausthal beginnen die Anstiege und kommen die Fichtenwälder. Hier beginnt der wirkliche Harz, die erste Etappe aus Göttingen heraus war für Heine mehr ein langes Warmlaufen.
Der Hexenstieg geht gleich steil bergauf
Der Hexenstieg führt sofort richtig bergauf, zunächst an den letzten Osteroder Häusern entlang, dann folgt der Wald. Doch was idyllisch klingt, ist zunächst einmal nur anstrengend und schweißtreibend. Dieser Hexenstieg ist schön und bequem zu laufen, aber alles andere als ein Spaziergang. Der Anstieg will einfach nicht enden, nach einer guten Stunde habe ich endlich am Eselsplatz die Anhöhe erreicht.
540 Höhenmeter verzeichnet der Wanderführer von Osterode bis Clausthal – das scheint überschaubar, fühlt sich aber nach deutlich mehr an. Mir fallen die Kiepenfrauen ein, denen hier am Hexenstieg auf dem Weg in die Höhe ein Denkmal gewidmet ist. Sie gingen diesen Weg regelmäßig, mit enormen Lasten auf dem Rücken – und nicht in lockerer Funktionskleidung, sondern in bodenlangen Röcken. Was für eine Leistung!
Heine traf auf seinem Hexenstieg-Weg einem Handwerksburschen, „ein Schneidergesell, … so dünn, dass die Sterne durchschimmern konnten …“. Der erzählte ihm einige leicht überspannte Geschichten und unterhielt ihn mit eigenhändig getexteten Volksliedern. Heine dazu: „Das ist schön bei uns Deutschen; keiner ist so verrückt, dass er nicht eine noch Verrückteren findet, der ihn versteht.“
Allerdings meldete sich dieser Schneidergeselle selbst zu Wort, nachdem die „Harzreise“ erschienen war, und er sich dort wiedererkannte. Er hieß Carl Dörne, war auf einer Geschäftsreise unterwegs gewesen und beschrieb die Begegnung mit Heine so: „Er war etwa 5 Fuß 6 Zoll groß, konnte 25-27 Jahr alt seyn, hatte blonde Haare, blaue Augen, eine einnehmende Gesichtsbildung, war schlank von Gestalt, trug einen braunen Ueberrock, gelbe Pantalons, gestreifte Weste, schwarzes Halstuch und hatte eine grüne Kappe auf dem Kopfe und einen Tornister von grüner Wachsleinwand auf dem Rücken.“
Und weiter: „Der Fremde sah mich mit einem sardonischen Lächeln von der Seite an, nannte sich Peregrinus und sagte, er sey ein Cosmopolit, der auf Kosten des türkischen Kaisers reise, um Rekruten an zu werben. … Um indessen Gleiches mit Gleichem zu vergelten, gab ich mich für einen Schneidergesellen aus und erzählte dem türkischen Geschäftsträger, daß ich von B. komme, woselbst sich ein Gerücht verbreitet, daß der junge Landesherr auf einer Reise nach dem gelobten Lande von den Türken gefangen sey, und ein ungeheures Lösegeld bezahlen solle. Herr Peregrinus versprach, sich dieserhalb bei dem Sultan zu verwenden, und erzählte mir von dem großen Einflusse, den er bei Sr. Hoheit habe.“
Da schienen sich zwei Gleichgesinnte gefunden zu haben – Dörne versicherte noch, dass er die „Harzreise“ mit Vergnügen gelesen habe und Heine die Beschreibung seiner Person nicht übel nähme.
Den Rest des Weges nach Clausthal erging Heine sich in Betrachtungen der Natur und der Wolken – scheinbar mühelos erreichte er gegen Mittag nach rund 20 Kilometern sein Ziel. Ich habe mehr mit dem Weg zu kämpfen; zwar geht es nicht mehr durchgehend bergauf, aber die Strecke zieht sich und auch die ein oder andere schöne Aussicht tröstet nicht wirklich.
Der Hexenstieg als „Top Trail des Harzes“
Der Hexenstieg ist nicht nur der „Top Trail des Harzes“, wie er auf der Webseite des Tourismusverbandes bezeichnet wird, er ist auch körperlich durchaus fordernd. Insgesamt ist er 97 Kilometer lang, führt von Osterode bis nach Thale und überwindet 996 Höhenmeter. Er wurde 2003 eingerichtet, und natürlich führt er durch alle Highlights des Harzes. Es gibt über ihn reichlich Literatur, Karten und Empfehlungen – man kann ihn rundum versorgt bewältigen. Es gibt Hexenstieg-Pauschalangebote, die Gastronomie hat sich auf die Wanderer eingestellt, und ein Multimedia-Guide ist auch verfügbar. Nur Laufen muss man den Hexenstieg noch selbst.
Endlich taucht für mich der Bärenbrucher Teich auf, eins der vielen künstlich angelegten Gewässer südöstlich von Clausthal. Sie gehören zum Harzer Wasserregal, wurden angelegt, um die Wasserversorgung der Gruben zu sichern und sind im Sommer wunderbare Badeseen. Man sieht ihnen wirklich nicht mehr an, dass sie im 19. Jahrhundert noch Teil einer Industrielandschaft rund um den Bergbau waren.
Entlang des Hirschler Teichs und der Pfauenteiche erreiche ich Clausthal und sehe mir gleich das Hotel „Goldene Krone“ an. Dort ist Heine für drei Nächte abgestiegen – ein Schild neben dem Eingang erinnert daran. Vielleicht blieb er länger als geplant; die Bergbaustadt hat ihn auf jeden Fall nachhaltig beeindruckt.
Sein Interesse galt den Gruben „Dorothea“ und „Caroline“, zu dieser Zeit galt ihre Besichtigung als Pflichtprogramm für Harz-Besucher. Sie lagen nebeneinander an den Pfauenteichen und gehörten seinerzeit zu den ertragreichsten Gruben der Umgebung. Gewonnen wurden vor allem Silber und Blei. In den Gruben herrschte ein reges Kommen und Gehen, Schätzungen besagen, dass rund 20.000 Besucher den beschwerlichen Abstieg in die Unterwelt unternommen haben. Die Grube Dorothea besichtigten unter anderem Hans-Christian Andersen, James Watt, Arthur Schopenhauer, Alfred Nobel und der unvermeidliche Johann Wolfgang von Goethe.
Die Gruben-Besichtigung gehörte zum Pflichtprogramm
Der Abstieg in den Berg hatte einen gruseligen, durchaus gefährlichen Reiz. Denn es gab kaum technische Hilfsmittel, durch ein kleines Einstiegsloch ging es über schmutzige Leitern bei flackerndem Grubenlicht Hunderte Meter in die Tiefe.
Heine beschrieb sein Erlebnis so: „Immerwährendes Brausen und Sausen, unheimliche Maschinenbewegung, unterirdisches Quellengeriesel, von allen Seiten herabtriefendes Wasser, qualmig aufsteigende Erddünste und das Grubenlicht immer bleicher hineinflimmernd in die einsame Nacht. Wirklich, es war betäubend, das Atmen wurde mir schwer, und mit Mühe hielt ich mich an den glitschrigen Leitersprossen.“
Er besuchte einige Bergleute in ihren Wohnungen und schrieb mit großer Einfühlsamkeit über deren Lebensumstände. „So stillstehend ruhig auch das Leben dieser Leute erscheint, so ist es dennoch ein wahrhaftes, lebendiges Leben.“ Sätze wie diese sind der Grund für den Erfolg der „Harzreise“ – Heine konnte mitfühlen ohne romantisch verklärt zu sein, er vergaß neben aller Naturbegeisterung nicht, wie hart die Menschen für ihren Lebensunterhalt schuften mussten.
Heines Grubenfahrten kann man heute nur noch zu Teil bei Sonderführungen nachempfinden. „Dorothea“ und „Caroline“ wurden noch im 19. Jahrhundert stillgelegt und die Eingänge verschlossen. Harz-Bergbau findet nur noch im Museum und in einigen Schau-Bergwerken statt.
Der Hexenstieg führt daran vorbei; ein Abstecher vor allem in das Oberharzer Bergwerksmuseum in Clausthal-Zellerfeld lohnt sich immer.
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Vergangene Woche ging es auch schon um Heinrich Heine und seine Harzreise.
Hier war ich auf Wandertour im Selketal.
Davor habe ich mir einen Besuch im Restaurant 20zwanzig in Stolberg gegönnt.
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