Von Bad Harzburg auf den Brocken: Durchs Eckertal und den Kaiserweg entlang

Harzletter, der Einhundertfünfte.

Es ist Herbst geworden – fast schlagartig. Eben noch über 30 Grad und dann: Regen, Kälte, Temperatursturz. Jetzt berappelt sich das Wetter wieder, und es herrschen allerbeste Wanderbedingungen. Zeit für einen Gang ganz nach oben – einmal Brocken pro Jahr muss (mindestens) sein.

105 brocken gipfel

Weil wir in den vergangenen Wochen mit Heinrich Heine unterwegs waren – in Erinnerung an seine genau 200 Jahre alte „Harzreise“ – bleiben wir dabei und nehmen eine ähnliche Route wie er damals.

Von Bad Harzburg aus also auf den Brocken. Laut Wanderführer 18,3 Kilometer lang und 880 Höhenmeter ständig bergauf. Keine Kleinigkeit, aber bei angenehmen Wetter sollte das ein schöner Weg werden. Kleine Anmerkung vorweg: Ich bin diese Brocken-Tour gegangen, bevor Anfang September ein Waldbrand am Brocken, genauer am Königstein, ausbrach und tagelang andauerte.

Von daher kann ich nichts über die Verwüstungen dort sagen; ich habe das spätere Brandgebiet wahrscheinlich sowieso nur gestreift.

Heinrich Heine jedenfalls machte sich am 20.09.1824 in Harzburg in bester Stimmung auf den Weg. Er sinnierte über die Tannen, „für die ich, in jeder Hinsicht, Respekt habe“. Er machte sich Gedanken über Granitblöcke, „schwellende Moosbänke“ und „träumerisches Quellengemurmel“. Und natürlich ging ihm die Geschichte von Faust und Mephisto durch den Kopf – Goethe hatte erst vor ein paar Jahren seinen Faust I veröffentlicht.

Doch trotz aller Euphorie und Naturseligkeit ist der Gang nach oben „ein äußerst erschöpfender Weg“; Heine war froh, als endlich das Brockenhaus in Sicht kam.

105 brocken eckertal

Das ist auch zweihundert Jahre später so, der Weg auf den Brocken ist steil und fordernd geblieben. Heine ging wahrscheinlich durch das Eckertal, dieser Weg ist heute nur noch bis zur gleichnamigen Talsperre möglich.

Über den Kaiserweg Richtung Brocken-Gipfel

Dann biegt meine Route nach rechts ab, den alten Kaiserweg entlang. Der ist ein uralter Handelsweg über den Harz, angeblich soll Kaiser Heinrich IV ihn im Jahr 1074 auf seiner Flucht von der Harzburg nach Tilleda genutzt haben – daher der Name. Alte Fahrspuren sind zu erkennen, links und rechts stehen abgestorbene Bäume, im Hintergrund wird der Harzturm in Torfhaus sichtbar, ansonsten bin ich allein unterwegs.

105 brocken kaiserweg

Der Borkenkäfer hat hier, wie im gesamten Gebiet rund um den Brocken, ganze Arbeit geleistet. Die Fichten sind komplett verschwunden, oder ragen noch als graue Stümpfe in die Höhe. Darunter zeigt sich neues Grün, es wird allerdings noch viele Jahre dauern, bis um den Brocken wieder so etwas wie ein Wald entsteht. Was ich bisher nicht wusste: Borkenkäfer und ihr Werk gab es schon immer. Aus einem Reisebericht von 1804: „Das Merkwürdigste, was uns unterwegs aufstieß, waren die schrecklichen Verheerungen, welche der Borkenkäfer seit viele Jahren überall in dem Harzwalde angerichtet hat.“ Alles schon mal dagewesen.

105 brocken andrang

Als der Kaiserweg den Goetheweg hoch zum Brocken kreuzt, ist es vorbei mit dem einsamen Wandern. Dieser Weg, den der Weimarer Altmeister vermutlich nahm, als er 1777 am 10. Dezember von Torfhaus aus den Brocken bestieg, ist heute der beliebteste, weil leichteste Weg nach oben.

Man kann bis Torfhaus mit dem Auto vorfahren, von dort sind auf dem gut ausgebauten Weg rund acht Kilometer zu laufen, mit zwei kürzeren steilen Anstiegen. Entsprechend groß ist der Andrang. Selbst unter der Woche geht es bei trockenem Wetter zu wie in der Fußgängerzone einer Kleinstadt: Mountainbiker, Schulklassen, Wandergruppen, Spaziergänger – alle sind zahlreich in beiden Richtungen unterwegs, der Brocken hat weiter eine große Anziehungskraft.

105 brocken dampflok

Nach einer guten Stunde bin ich oben, zwischendurch überholt von der Brockenbahn, die vollbesetzt die nach oben schleust, denen der Weg zu Fuß zu mühsam ist. Auf dem Gipfelplateau verteilen sich die Menschen; die meisten bleiben gleich beim Brockenwirt direkt neben dem Bahnhof hängen.

Das war zu Heines Zeiten ähnlich – aber natürlich brachte noch keine Schmalspurbahn die Menschen nach oben. Seit 1800 gab es das Brockenhaus, in dem sich alle trafen, die oben ankamen, und in dem die meisten auch die Nacht verbrachten.

Die Nacht im Brockenhaus und der Morgen danach

Heine beschrieb das so: „Man ist nach einem langen, einsamen Umhersteigen durch Tannen und Klippen plötzlich in ein Wolkenhaus versetzt; Städte, Berge und Wälder blieben unten liegen, und oben findet man eine wunderlich zusammengesetzte, fremde Gesellschaft …“

105 brockenhaus

Was nach seiner Ankunft am Abend, nachts und am nächsten Morgen passierte, war eine einzige Groteske, stellenweise purer Slapstick, mit romantisch überspannten Frauen, sinnlos betrunkenen Studenten, einem coolen Brockenwirt und „empfänglichen Hausmädchen, auf deren Gesichtern die Spuren glücklicher Liebe …“

Heinrich Heine ist in Bestform, als er ausführlich das Treiben, die Gespräche, und das verkaterte Erwachen beschrieb. Unmöglich, das hier zusammenzufassen – lesen Sie selbst, die „Harzreise“ ist ein dünnes Buch mit nicht einmal hundert Seiten. Sie werden Ihren Spaß haben, auch wenn manche Details nach 200 Jahren etwas unverständlich sind.

Am Morgen danach standen jedenfalls in aller Frühe und leicht frierend die 38 Gäste auf dem Turm des Brockenhauses, um die Sonne aufgehen zu sehen. Heine war mit dabei, allerdings nur kurz; ihm war weniger nach gefühligen Empfindungen als nach Frühstück und Kaffee. Er vergnügte sich dabei mit den Eintragungen im Brockenbuch, indem er dort „verschimmelte Hochgefühle“, „pathetische Seelenergüsse“ und „verunglückte Entzückungsphrasen“ entdeckte.

Auch heute kann man noch auf dem Brocken übernachten. Das Brockenhotel bietet Doppelzimmer ab 169 Euro an und weist ausdrücklich darauf hin, dass wegen der zeitweise extremen Wetterbedingungen eine Stornierung ohne Entschädigung möglich ist.

Schnell noch ein paar Gipfelfotos, dann mache ich mich auf den Weg bergab: Vom Brocken nach Ilsenburg, natürlich den Heinrich-Heine-Weg entlang. So viele romantische Gefühle müssen sein.

Vergangene Woche ging es auch schon um Heinrich Heine und seine Harzreise.

Hier war ich auf Wandertour im Selketal.

Davor habe ich mir einen Besuch im Restaurant 20zwanzig in Stolberg gegönnt.

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Auf Instagram findet der Harzletter auch statt: www.instagram.com/harzletter.de/

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