Harzletter, der Einhundertfünfundvierzigste.
Das Mittelalter ist im Harz vielerorts spürbar – besonders in Städten wie Quedlinburg, Goslar oder Gernrode. Wer sich einmal auf die Welt der Heinrichs, Ottos und Konrads einlässt, gerät schnell mitten hinein in ein Geflecht aus Machtkämpfen, Intrigen, Aufständen – und reichlich Mord und Verrat. Hier geht es um Markgraf Gero, einen ganz besonderen Haudegen, der eng mit Gernrode verbunden ist.


Mir haben es in den letzen Wochen die Ottonen angetan. Otto I., II. und III., dazu kamen noch Heinrich I. und II. Diese sogenannte Liudolfinger-Dynastie – benannt nach dem Stammvater Graf Liudolf (ca. 805–866) – stellte zwischen 919 (König Heinrich I.) und 1024 (Kaiser Heinrich II.) die Herrscher im ostfränkischen Reich, zu dem auch der Harz gehörte. Zwischen den beiden Heinrichs die drei Ottos.
Rangmäßig knapp unterhalb dieser Chefs gab es damals besagten Gero, der im ostfränkischen Reich und speziell in Gernrode (leicht zu raten, woher dieser Ortsname kommt) eine breite Spur hinterlassen hat.
Geros steile Karriere
Dieser Gero stammte aus einem sächsischen Adelsgeschlecht und legte nach dem Amtsantritt von Otto I. (im Jahr 936) eine steile Karriere hin. Er sicherte nämlich das Reich Ottos gegen die Slawenstämme östlich von Saale und Elbe ab. Diese Slawen waren zwar von Ottos Vater Heinrich I. besiegt worden, aber sie gaben trotzdem keine Ruhe und – weit schlimmer – mit den auferlegten Tributzahlungen lief es auch eher stockend.
Gero besaß das Vertrauen des Herrschers, wurde mit reichlich Vollmachten, Gütern und dem Titel Markgraf ausgestattet und langte im Gegenzug gegen die bedrohlichen Slawen gewaltig hin. Im Mittelalter war man, besonders wenn es gegen die Ungläubigen ging, wenig zimperlich. Gero hatte allerdings inmitten der rauen Gesellen noch mal einen besonderen Ruf.

Eine Geschichte, vom sächsischen Geschichtsschreiber Widukind übermittelt, ging so (Quelle Wikipedia):
Die Slawen hätten „mit Morden und Brennen das Land verwüstet“, bis Gero an die dreißig ihrer Fürsten zu einem Versöhnungsgastmahl einlud. Derartige Gelage genossen als friedensstiftende Veranstaltungen eine hohe Wertschätzung. Da die slawischen Fürsten aber vorgeblich Geros Ermordung anlässlich dieses Gastmahls geplant hatten, soll Gero seinerseits „List gegen List“ gesetzt haben; jedenfalls überlebten seine von Wein und Schlaf benebelten Gäste die Nacht nicht. Solche eher hinterlistige Massaker galten seinerzeit als Merkmal besonders begabter Heerführer und wurden respektiert und durchaus geschätzt.
Außerdem muss man wissen, dass „die Slawen“ kein einheitlicher Volksstamm war. Es gab Obodriten, Tollenser, Zizirpane, Redarier, Ukranen, Sorben und wahrscheinlich noch mehr Volksgruppen, Sippen und Stämme. (Übrig geblieben und bekannt sind heute die Sorben). Da kämpfte schon mal jeder gegen jeden, Verrat und wechselnde Bündnisse waren normal – auch die Franken waren kein einheitlicher Staat, so wie wir ihn heute verstehen. Mittelalter halt.

Später verlor Gero Ottos Gunst. Möglicherweise war er in eine Verschwörung gegen den König verwickelt – 941 sollte Otto in Quedlinburg ermordet werden. Der Plan flog auf. Zwar wurde Gero nicht verurteilt, doch die Beziehung blieb beschädigt. Auch in der Auseinandersetzung zwischen Otto und dessen Sohn Liudolf stellte sich Gero auf die falsche Seite.
Trotzdem behielt Gero seine Macht und Güter. Doch es folgten private Schicksalsschläge: Der Tod seines Sohnes Gero (959) und die schwere Krankheit des zweiten Sohns Siegfried bedeuteten das drohende Aussterben seiner Linie – für einen Adligen eine Katastrophe.
Gero als Stifter in Gernrode
Jetzt kommt Gernrode ins Spiel: Gero beschloss, dort ein Frauenstift zu gründen. Zu seinem Gedenken und zur Absicherung von Frau und Schwiegertochter. 961 stimmte Otto der Übertragung der Erbschaft Geros auf das Stift zu, kurz danach wurde mit dem Bau der Kirche St. Cyriakus begonnen. 965 starb Gero und wurde in der Kirche bestattet.

Über dieses Stift, die diversen, sehr bemerkenswerten Äbtissinnen, die Auseinandersetzungen und die Entwicklungen besonders während der Reformationszeit ließe sich üppig weiter schreiben – das wäre Stoff für eine mehrteilige Serie.
Besser ist es, sich die Kirche St. Cyriakus einfach anzusehen; schon von außen sieht man sofort, dass sie etwas Besonderes ist. Reinstes Mittelalter, gewaltige Ausmaße – und das mitten in einem 3500-Einwohner-Ort.

Nach der Aufhebung des Stifts im Zuge der Reformation verfiel die Kirche. Rund 200 Jahre lang wurde sie als Kartoffellager, Getreidespeicher und Viehstall genutzt, bis im 19. Jahrhundert eine umfassende Restaurierung durch Ferdinand von Quast umgesetzt wurde. Das Ergebnis ist ein direkter Blick in die (fast) originale ottonische Zeit. Mehr dazu und über Gernrode in der kommenden Woche.



Und wenn man von soviel Kultur und Geschichte ganz erschöpft ist: Gleich gegenüber von St. Cyriakus gibt es das Café Froschkönig. Wunderbar plüschig, ein schöner kleiner Innenhof, Kuchen, Kaffee und eine sehr freundliche Bedienung.
So wird das Mittelalter gleich viel sympathischer.
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