Harzletter, der Einhundertneununddreißigste.
Der Blaue See ist ein ehemaliger Geheimtipp, versteckt und deswegen anziehend – und einiges mehr. Nur blau ist er nicht. Jedenfalls nicht Anfang Mai, als ich zum ersten Mal dort bin. Und das mit dem Geheimtipp hat sich auch schon länger erledigt.

Der Blaue See ist grün. Nicht irgendwie türkis, oder grünblau, sondern richtig sattgrün. Ok, als ich ihn mir ansehe und Fotos mache, scheint die Sonne, und ein paar Tage lang waren die Temperaturen sehr frühlingshaft. Vielleicht spielt das eine Rolle.
Aber, mal ganz unter uns: Wenn der Blaue See „Grüner See“ hieße, hätte er dann auch diese Anziehungskraft? Grün klingt irgendwie gefährlich; giftgrün eben. Aber Blau, eventuell sogar Azurblau, das ist doch gleich: Urlaub, Karibik, Entspannung. Blaue Grotte, Blaue Lagune und jetzt eben Blauer See.

Aber den Namen haben sich ja keine Marketing-Experten ausgedacht. Und man muss den Blauen See auch erst einmal finden. Wenn man die B 27 von Hüttenrode nach Rübeland fährt, steht da zwar ein schnödes Parkplatzschild, aber kein Hinweis auf einen See. Und dieser Parkplatz ist eine Schlaglochansammlung; eigentlich vermittelt er nur: Was willst du hier, beziehungsweise: Hau bloß ab. Machen wir natürlich nicht, denn inzwischen gehört der Blaue See fast zum Harz-Pflichtprogramm.

Auf zahlreichen Internetseiten und auf noch mehr Instagram-Accounts wird er als Frühlings-Phänomen gefeiert. „Karibik im Harz“ oder „Naturwunder“ heißt es beispielsweise, derartige Versprechungen locken natürlich an. Und im frühen Frühjahr, ungefähr März, April soll es mit dem Blau angeblich auch funktionieren. Später im Jahr wechselt er wegen sich vermehrender Algen die Farbe. Und wird grün. Bleibt aber weiterhin ein geheimnisvoller kleiner See, von Wald und Kalksteinwänden umgeben.
Im Gegensatz zu manchen anderen mystischen oder geheimnisvollen Landschaftsbildern im Harz – etwa die Klusfelsen oder die Sandsteinhöhlen – ist der Blaue See keine uralte Hinterlassenschaft. Seine Geschichte liegt relativ kurz zurück und ist Menschengemacht. Er ist das Tagebaurestloch eines Kalksteinbruchs. Der hieß laut Wikipedia „Am Garkenholz“ und wurde 1885 angelegt. Es wurde vor allem Kalkstein zur Branntkalkherstellung abgebaut.
Nach dem Tagebau kam der Blaue See
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieser Abbau weitgehend eingestellt, 1955 war endgültig Schluss. Was blieb, war einLoch (bis zu sechs Meter tief), das aufgrund mehrerer Karstquellen mit Wasser volllief. Die blaue Farbe wird bei Wikipedia so erklärt: „Das Wasser ist an Calcium übersättigt, so dass sich Calciumcarbonat ausscheidet und Schwebstoffe und Algen umkrustet, so dass sie zu Boden sinken. Aufgrund des sauberen Wassers erscheint der See im Frühjahr leuchtend blau. Im Sommer färbt sich das Wasser infolge des Nachlassens der Schüttungsmenge der Quellen und des Überhandnehmens von Schwebstoffen und Algen grün.“
Verstanden, alles klar? Macht ja nichts.
Ich bin also schon zu Zeiten der „nachlassenden Schüttungsmenge“ und des „Überhandnehmens von Schwebstoffen und Algen“ gekommen. Kann passieren.

Von besagtem Schlagloch-Parkplatz führt ein Fußweg ein paar Hundert Meter zum Ziel. Auch hier: kein Schild, kein Hinweis. Und als der Blaue See dann durch die Bäume sichtbar wird, steht da als erstes eine Warnung: „Baden und Nutzung des Geländes auf eigene Gefahr. Eigentümer übernimmt keine Haftung. Stadt Blankenburg (Harz)“. Damit ist das schonmal klargestellt.
Man blickt nach unten und sieht vielversprechendes Grün.

Ein Trampelpfad führt zum Wasser, es gibt einen Weg um den See herum – der ist allerdings stellenweise ziemlich holprig. Die Ausblicke sind idyllisch; ob blau, ob grün, der Blaue See hat seine ganz eigene Magie und man begreift, dass er wirkt und Menschen anzieht. Das Wasser ist ziemlich kalt; baden ist eher etwas für die ganz Harten.

Dann sind da noch die Grill-Überbleibsel. Natürlich ist der See ein toller Platz, um sich nachmittags/abends zu treffen, ein paar Biere zu trinken und den Grill anzuwerfen. Warum Leute anschließend ihren Müll liegen lassen, kann ich nicht verstehen.
In der Sonne sitzen, aufs Wasser schauen, ein bisschen weg-träumen. Romantischen Seelen – und nicht nur denen – fällt das hier leicht. Allerdings funktioniert die Romantik nicht ganzjährig. In Herbst und Winter verliert der See durch Risse im Kalkuntergrund regelmäßig Wasser. Manchmal trocknet er sogar komplett aus, dann bietet er einen eher traurigen Anblick.

Auf einigen Internetseiten habe ich gelesen, dass es im Blauen See wegen des hohen Kalkgehalts kein tierisches Leben gibt. Gut zu erkennen sind in Ufernähe massenhaft Kaulquappen – die scheinen sich zumindest angepasst zu haben.
Weil ich schon mal da bin, fahre ich anschließend noch weiter nach Kreuztal, zum Schauwasserkraftwerk Achsenschmiede. Ein Stück Technikgeschichte, unscheinbar am Bodeufer gelegen. Sehenswert nicht nur für Technik-Nostalgiker. Auch das ist Harz: Die kleinen historischen Perlen am Straßenrand. Schön.

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Vergangene Woche habe ich aus Anlass des Kriegsendes vor 80 Jahren ein paar Friedhöfe der Umgebung besucht.
Davor war ich mit dem Motorrad von Mansfeld nach Seesen unterwegs.
Hier ging es um die Harzquerung von Wernigerode nach Nordhausen.
Davor gab es hier über den Kleinen Harz zu lesen.
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