Harzletter, der Sechsundachtzigste.
Der Mai ist da, das Wetter ist schön, es gibt erfreulich viele Feiertage – also geht’s nach draußen. Wieder eine kleine Radtour, diesmal von Bad Harzburg nach Wernigerode und weiter bis Quedlinburg.
War toll, stellenweise anstrengend, aber auch lehrreich.
Dazu eine kleine Vorgeschichte: Ich hatte mir mein Gravelbike vor gut einem Jahr bei „Josa“ in Klein Schöppenstedt gekauft. Dort betreiben zwei Bike-Verrückte einen sehr empfehlenswerten Laden und verstehen es, auch Eigentlich-fahre-ich-nicht-so-gern-Rad-Typen wie mich für ein ziemlich kostspieliges Rad zu überzeugen. Ich habe also gekauft und seitdem bin ich ziemlich viel damit im Harz unterwegs.
Und weil so ein Gerät Pflege und regelmäßige Inspektionen braucht, habe ich es brav bei Josa zum Durchchecken abgegeben und zwei Tage später wieder abgeholt. Eine Rad-Rückfahrt in den Harz bietet sich da förmlich an; damit es nicht ganz so heftig wird, habe ich mir eine Zugfahrt bis Bad Harzburg gegönnt.
Um von da, immer am nördlichen Harzrand entlang, Richtung Osten zu strampeln.
Mit Hilfe von Google Maps startet meine kleine Radtour durch die Herzog-Wilhelm-Straße: Unter blühenden Kastanien geht es leicht bergauf, links und rechts reichlich Cafés und Restaurants, die Tische und Stühle rausgestellt haben und gut besucht sind. Mit einigen Schlenkern durchquere ich die Bad Harzburger Außenbezirke – Villen, Einfamilienhäuser, üppige Gärten, fast kein Verkehr.
Radtour durch den Nationalpark
Und dann fängt der Wald an. Ein Schild zeigt Richtung Ilsenburg und es gibt nur den einen Waldweg – ab jetzt einfach radeln und das Smartphone in der Hosentasche lassen. So stelle ich mir Radfahren im Harz vor: Entspannt durch den Wald, es geht ein bisschen bergauf und bergab, fast niemand außer mir unterwegs, alles ist still bis auf ein paar Vögel.
Was ich gar nicht mitbekommen habe: Genau hier beginnt auch der Nationalpark Harz und außerdem bin ich auf dem Europaradweg R1 unterwegs. Der führt von London durch Frankreich, Belgien, Deutschland, Polen, die baltischen Länder über 5100 Kilometer bis nach St. Petersburg. Und eben auch durch den Harz. Eine gut ausgebaute, relativ leicht zu radelnde Strecke – leider nicht immer gut und eindeutig ausgeschildert.
Aber jetzt, im Wald, kann man sich nicht verfahren; es gibt nur den einen Radtouren-Weg. Der führt zielsicher zur Landesgrenze zwischen Niedersachen und Sachsen-Anhalt, die man auf gar keinen Fall übersehen kann. Denn mitten im Wald steht eine ehemalige DDR-Grenzmarkierung, frisch in Schwarz-Rot-Gold gestrichen und scheinbar wie neu. Klar, hier im Eckertal war früher Schluss, hier hörte die allgemein zugängliche Welt auf, hier befanden sich die Grenzsicherungsanlagen.
Und nur ein paar Meter weiter die nächste Entdeckung: „Jungborn Harz“, eine ehemalige Kurstätte, die eine Zeitlang die größte Naturheilanstalt Deutschlands war. 1896 gegründet, war sie ein Zentrum der damals sich ausbreitenden Zurück-zur-Natur-Bewegung. Zitat auf einer Infotafel: „Im Damen- und Herrenpark waren die Kurgäste fast ständig nackt, sodass die Heilkräfte der Natur ungehindert auf den Körper einwirken konnten. Es gab tägliche Anwendungen wie Gymnastik, Ballspiele, Sitzbäder, Massagen, Wanderungen sowie Vorträge über Naturheilverfahren und gesunde Ernährung.“
Unter anderem war hier der beständig kränkelnde Franz Kafka zu Gast; im Juli 1912 hielt er sich drei Wochen in Jungborn auf und hielt das Erlebte dort in seinen Reisetagebüchern fest. Zitat: „…Nackte liegen still vor meiner Tür. Alle bis auf mich ohne Schwimmhose“.
Heute ist von der ehemaligen Anstalt nichts mehr übrig; da sie unmittelbar an der Ost-West-Grenze lag, wurden die Überreste 1964 aus Gründen der Grenzsicherung komplett eingeebnet. Nur ein paar gut gemachte Info-Tafeln, an einer Art Pavillon angebracht, erinnern noch an die naturnahe Vergangenheit.
Meine Radtour führt weiter durch den Wald auf Ilsenburg zu – entlang blühender Bärlauch-Felder. Später geht es an dem malerischen Forellenteichs vorbei und danach kurz und heftig bergauf Richtung Drübeck. Zwischendurch die erste Irritation wegen der Beschilderung des Europaradweges: Manchmal gibt es alle paar Meter eine Kennzeichnung, dann folgt längere Strecken gar nichts. Blöd vor allem an Kreuzungen oder Weggabelungen. Aber da ich weiß, welche Orte angesteuert werden sollen, fahre ich nach Gefühl weiter und nach einiger Zeit taucht das Zeichen dann plötzlich wieder auf.
Drübeck ist allein schon wegen seines Klosters – heute ein Evangelisches Zentrum – und des Cafés im Klostergarten einen längeren Aufenthalt wert. Mein Radtour-Weg führt direkt daran vorbei, leider habe ich nur Zeit für einen kurzen Stopp, dann geht es weiter Richtung Darlingerode. Zum ersten Mal neben einer Landstraße, kein Problem, denn der Radweg ist richtig gut ausgebaut.
Verirrt im Wald hinter Darlingerode
Aber dann bin ich wirklich fast aufgeschmissen. In Darlingerode wieder ein Schild des Europaradweges, dem ich natürlich folge. Doch dann, nach ein paar Hundert Metern – nichts mehr. Aber da die Richtung stimmt, folge ich dem Weg weiter in den Wald hinein, den Ütschenteich entlang, einfach immer weiter.
Aber der breite Weg verengt sich, es geht richtig ins Unterholz, umgestürzte Bäume, zeitweise muss ich absteigen. Netter Irrweg, mal sehen, wo ich lande. Nach einiger Zeit wird es heller, der Weg wieder breiter, die Richtung stimmt immer noch. Dann ein Schild: Wasserscheide Weser-Elbe und wenig später wird mir das Kloster Himmelpforten angezeigt. Davon existieren zwar nur noch die von mittelalterlichen Mönchen angelegten Fischteiche, aber es ist trotzdem ein wildromantischer Weg. Der pfeilgerade auf Wernigerode zuführt.
Radtour kann man die letzten Kilometer nicht mehr nennen, aber Spaß gemacht hat es trotzdem. Wilde Waldgegend, ganz unverhofft, das nimmt man gern mit.
Nach Wernigerode rein geht es lässig, die Stadt ist voll, am Rathaus hängt ein Transparent „Frieden“, außerdem werden die Jagdstudenten zu ihrem Jahrestreffen begrüßt (Blöde Frage: Was sind Jagdstudenten? Laut Wikipedia irgendwas mit Studenten-Verbindungen, lange Tradition, schlagend, etc.). Die Stadt im Feiertags-Mai-Modus: Entspannt und locker schlendernd.
Ab hier weiß ich Bescheid, und will ohne Umwege und möglichen Verirrungen den Weg nach Quedlinburg runterradeln. Also zügiges Radtour-Tempo durch Benzingerode, Heimburg, Blankenburg, Westerhausen. Auch mal die Straße entlang, kein Problem bei den wenigen Autos. Am Ende sind es gut 60 Kilometer, keine ganz große Tour, aber ein richtig guter Weg immer in Sichtweite zum Harz.
Beim nächsten Mal kalkuliere ich einige Pausen ein; es gibt genug Orte, in denen man gern anhalten möchte, und ein paar lässige Boxenstopps gehören zu einer korrekten Radtour einfach dazu.
Neues vom Harzturm
Unser Lieblingsturm hat die Ansage auf seiner Web-Startseite aktualisiert:
„Die komplette Eröffnung des Harzturms braucht noch etwas Zeit, trotzdem können wir euch Folgendes anbieten:
Eine geführte Harzturm-Besichtigung durch unser Team bietet euch eine einzigartige Chance hinter die Kulissen dieses imposanten Projekts zu schauen.
Die Erlebnisrutsche, der Skywalk sowie der Fahrstuhl sind noch nicht in Betrieb.
… Vorübergehend ist der Harzturm aufgrund der finalen Bauarbeiten von Montag bis Freitag geschlossen.“
Jetzt werde ich skeptisch wegen Komplett-Eröffnung zu Pfingsten. Aber vielleicht wird ja doch alles ganz schnell fertig. Vom Feeling her habe ich allerdings kein gutes Gefühl.
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Über Walpurgis in Heimburg und die Aufräumaktion im Waldseebad ist hier die Rede.
Hier geht es um die anstrengende, schöne Harzquerung.
Eine Motorrad-Tour zum Kyffhäuser wird hier beschrieben.
Und hier geht es zurück auf die Startseite.
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Auf Instagram findet der Harzletter übrigens auch statt: www.instagram.com/harzletter.de/