Harzletter, der Einhundertzweiundzwanzigste.
Buttlars Grab: Ich bin zufällig, irgendwo bei Instagram oder sonstwo im Internet darauf gestoßen. Schon der Name klingt irgendwie interessant, ein Foto zeigte eine leicht verwitterte Mauer mitten im Wald, und als ich dann noch las, dass sich das Ganze quasi um die Ecke beim Ballenstedter Schloss befindet, war klar, da musste ich mal hin.
Als dann nach ein paar Tagen Ski-Langlauf (siehe hier) der Schnee weitgehend wegschmolz, schaute ich nach dem Rad und machte mich auf zu Buttlar. Ein bisschen strampeln bei Temperaturen knapp über Null und kaum Wind, das bringt den Kreislauf in Schwung.
Also warm einpacken und los Richtung Gernrode – nicht auf Feldwegen, denn da war es noch zu matschig, sondern die Straße entlang. Eigentlich nicht weiter schlimm, wenn nicht der Radweg kurz nach Ortsende Quedlinburg abrupt enden würde. Klar, zusammen mit den Autos auf der Straße geht auch, fühlt sich aber immer ein bisschen unangenehm an. Vor allem, wenn einige ziemlich nah überholen.
Von Gernrode weiter durch Rieder, an der Roseburg vorbei (übrigens einem der durchgeknalltesten Orte im Harz) auf Ballenstedt zu – und dann zeigt Google rechts ab Richtung Wald. Später weiß ich: Das war ein Fehler, auch wenn es der nächste Weg zu Buttlars Grab ist. Denn jetzt wird es ziemlich bald eisig und schlammig. Im Winter mit dem Rad im Wald ist keine besonders clevere Idee. Der Weg direkt am Schloss vorbei wäre schlauer gewesen.
Aber was soll’s, 1,3 Kilometer zeigt der Wanderwegweiser an, die sind ja wohl zu schaffen. Sind sie auch, aber nicht mühelos. Neben Eis und Matsch geht es das letzte Stück auch noch stramm bergauf, da bleibt nur absteigen und schieben.
Und dann sehe ich es, wie im Internet beschrieben: Mitten im Wald ein Steinkreis von rund fünfzehn Metern Durchmesser, mit einer Pforte, dem eigentlichen Grab und ein paar Pflanzen innen drin. Hier ruht also sehr idyllisch seit 1810 Wilhelmine von Buttlar. Warum, wieso ist eine rührende Geschichte, die auf einem Schild an der Pforte erzählt wird. Der Faulheit halber schreibe ich sie einfach ab:
Wilhelmine von Buttlar
Aus hessischem Adelsgeschlecht (geboren 1767 auf Elberberg, gestorben 43-jährig 1810 am Ballenstedter Hof).
Jugendfreundin und Vertraute der Prinzessin Maria Friederika von Hessen-Kassel (1768 – 1839), der späteren Gemahlin des wenig treuen Herzogs Alexius Friedrich Christian von Anhalt Bernburg (1767 – 1834).
Die junge frisch vermählte Herzogin nahm 1795 ihre Freundin Wilhelmine als Hofdame mit an den Ballenstedter Hof – als „meine treue Freundin, die meine Einsamkeit teilt“ (wie Maria Friederika ihrem Vater, dem hessischen Kurfürsten Wilhelm I. (1743 – 1821) auf die Wilhelmshöhe nach Kassel schrieb).
Wilhelmine von Buttlar wer eines von dreizehn Kindern des Oberschenken Wilhelm von Buttlar auf Elberberg in Hessen-Kassel, hatte ihren Verlobten (vermutlich in den napoleonischen Kriegen) verloren, und in dem als unglücklich und langweilig empfundenen Ballenstedter Hofleben verband die beiden Frauen ein sehr enges, freundschaftliches Verhältnis.
Als im Frühling und Sommer 1810 in Ballenstedt das Scharlachfieber wütete, erkrankte auch Wilhelmine von Buttlar und starb nach 14 Tagen trotz der umsorgenden Pflege der herzoglichen Freundin am 9. oder 10. Main in deren Armen.
Mitten im Wald, hier, an vertrautem Ort im damaligen Wildpark, wünschte sie sich, begraben zu werden.
Hintergründe zu Buttlars Hofleben
So traurig wie romantisch. Aber noch mit ein paar interessanten Hintergründen:
Der „wenig treue“ Herzog Alexius Friedrich Christian von Anhalt Bernburg übernahm 1796 die Regierungsgeschäfte und war laut Wikipedia ziemlich tüchtig unterwegs: Er sorgte für die Verbesserung des Schulwesens, baute und vergrößerte auch viele Kirchen und Schulen. Besonderes Interesse zeigte er für die Ausweitung des Straßennetzes, vor allem in den neu erworbenen Landesteilen. Dem Bergbau und dem Hüttenwesen wandte er ebenfalls große Aufmerksamkeit zu. Er ließ mehrere größere Bauprojekte ausführen, 1810 gründete er unter anderem das nach ihm benannte Alexisbad im Selketal.
Zitat Wikipedia: „Mit Marie Friederike von Hessen-Kassel hatte er vier Kinder, von denen zwei bereits kurz nach der Geburt verstarben.“ Aber dann: „Wegen der fortschreitenden Geisteskrankheit seiner Frau, die sie auch den beiden überlebenden Kindern vererbte, ließ sich Herzog Alexius am 6. August 1817 scheiden.“
Und weiter:
„Noch im selben Jahr vermählte Herzog Alexius sich morganatisch mit Louise Dorothea Friederike von Sonnenberg (1781–1818), die seit der Eheschließung den Namen „von Hoym“ trug. Nach deren frühem Tod verband er sich 1819 wiederum in einer Ehe zur linken Hand mit ihrer Schwester Ernestine Charlotte von Sonnenberg (1789–1845), die daraufhin ebenfalls Frau von Hoym genannt wurde.“
Zur Erklärung: „morganatisch“ heißt „nicht standesgemäß“ und kam bei Adligen wohl öfter vor – auch wenn es im Adel zunächst immer das Wichtigste war, die Erbfolge zu sichern, und das ging nur standesgemäß.
Was es mit dieser Geisteskrankheit von Marie Friederike (oder Friederika) auf sich hatte, konnte ich nicht herausfinden; aber insgesamt zeigt die ganze Angelegenheit sehr schön, dass es bei Hofe in Liebes- und Ehedingen gern mal drunter und drüber ging. Heutige Bachelor- und andere Verwicklungen sind dagegen Kleinkram.
Die gute Frau Buttlar hat von all dem nichts mehr mitbekommen, sie ruhte im Wald, und es ist für mich fast ein Wunder, dass die eindrucksvolle Natursteinmauer weiterhin komplett und wohlbehalten dasteht. 2007 wurde das Grab von Ballenstedter Bürgern ehrenamtlich restauriert, nachdem es lange vernachlässigt und zugewachsen war.
Auf dem Rückweg musste ein Zwischenstopp im sehr schönen Café Marstall – direkt am Ballenstedter Schloss – sein. Guter Kaffee, guter Kuchen, ein bisschen aufwärmen. Und dann noch die Rückfahrt; von Buttlars Grab nach Quedlinburg.
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Vor einer Woche war ich noch beim Ski-Langlauf in der Ackerloipe.
Davor ging es um die Restaurierungen in Quedlinburg: Stiftsberg und Fleischhof.
Dann feierten wir Bergweihnacht auf der Grube Glasebach.
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Auf Instagram findet der Harzletter auch statt: www.instagram.com/harzletter.de/