Als Helfer bei der Weinlese – im Weingut Kirmann in Westerhausen

Harzletter, der Fünfundfünfzigste.

Weinlese im Harz. Das gehört definitiv zu meinen bisher besten Erlebnissen in meiner immer noch neuen Umgebung. Insgesamt vier Tage war ich Lesehelfer für das Weingut Kirmann. Und das kam so: Ich fuhr im August beim Weingut vorbei und fragte Winzer Matthias Kirmann, ob ich ein paar Tage mithelfen dürfte, um darüber zu schreiben. Er sagte ja, und das war’s. Hier ist mein Text, wie er in der Volksstimme und in der Braunschweiger Zeitung inzwischen erschienen ist:

55 Weinlese quer

Es ist morgens kurz vor acht, die Sonne kommt gerade hinter dem Lästerberg hervor. Der liegt am Ortsausgang von Westerhausen, einem Ort am nördlichen Harzrand zwischen Quedlinburg und Blankenburg.

Ich bin zu Fuß die letzten Meter Richtung „Kleiner Westerhäuser Weinberg“ unterwegs, so die offizielle Bezeichnung der Anbaufläche. Es ist meine Premiere bei einer Weinlese. Vor den Reben erwarten mich etwa ein Dutzend weitere Lesehelfer sowie Chef und Winzer Matthias Kirmann, der mit seiner kleinen roten Zugmaschine samt Ernte-Anhänger vorgefahren ist. Die Weinlese, die Mitte September begonnen hat, muss weitergehen, heute ist Weißburgunder dran.

55 Weinlese Helfer

Weinlese? Im Harz? Das ist kein Witz, sondern seit 1988 eine ziemlich einzigartige Geschichte.

Harzer Weinanbau und Weinlese beginnen 1988

Die beginnt noch zu DDR-Zeiten: Matthias Kirmann, gelernter Vermessungstechniker und mit einiger Erfahrung in der privaten Herstellung von Obstweinen, machte Urlaub in Ungarn und sah sich die dortigen Weinanbaugebiete an. „Das kann ich auch“, überlegte er selbstbewusst, besorgte sich bei der Winzergenossenschaft Freyburg, die für das Anbaugebiet Saale-Unstrut zuständig war, rund 400 Rebstöcke und pflanzte die am Königstein direkt unter der Teufelsmauer an.

„Das wäre heute völlig unmöglich“, erzählt er, „die EU-Regulierungen lassen so etwas nicht zu – niemand darf einfach anfangen, Wein anzubauen.“

Und wie war das zu DDR-Zeiten? Kirmann erzählt: „Die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), bewirtschafteten die großen Flächen. Daneben gab es sogenannte Splittergrundstücke, die von den LPGs nicht genutzt werden konnten. Hier durfte man in Abstimmung mit den Eigentümern mehr oder weniger machen was man wollte. Der Staat war sogar froh, wenn sich jemand darum kümmerte. Ich habe halt Wein angebaut.“

Das macht er bis heute, seit 1995 im eigenen Weingut und seit 1999 als Vollerwerbs-Winzer. Die gesamte Anbaufläche beträgt 3,4 Hektar – eine ziemlich kleines Gebiet im Vergleich zu den großen Weingütern.

„Hier ist ein Eimer, da ist die Schere“

Aber auch diese Fläche will gut bewirtschaftet werden, und deswegen stehen wir jetzt am Fuße des Lästerbergs. Die anderen Helfer kennen das Prozedere, ich werde kurz eingewiesen: „Hier ist ein Eimer, da ist die Schere. Damit gehst du durch die Reihen und schneidest die Reben ab. Aber Vorsicht, die Schere ist scharf!“

55 Weinlese Gruppe

Das klingt übersichtlich; anschließend werden wir auf die Reihen verteilt. Immer zu viert, zwei links, zwei rechts, und dann heißt es: Trauben in die Hand nehmen, abschneiden, die Faulen aussortieren, die Guten in den Eimer. Alle paar Minuten kommt Matthias Kirmann mit der Butte auf dem Rücken durch die Reihen, darin werden die Eimer ausgeleert. Eigentlich eine stupide Arbeit, die für Ungeübte schnell den Rücken belastet, weil man ständig in gebückter Haltung nach den Trauben greift.

55 Weinlese kippen

Aber dann blickt man sich von Zeit zu Zeit um, die Sonne scheint, ein leichter Wind geht, oben am Himmel kreisen träge ein paar Raubvögel, im Hintergrund ist der Brocken zu erkennen und nicht einmal die Verkehrsgeräusche der nahen A 36 stören. Weinlese von Hand ist eine Arbeit, die seit Tausenden von Jahren gleich abläuft, Wein ist schließlich ein uraltes Genussmittel und schon in der Bibel ist von den Arbeitern im Weinberg die Rede. Ich bin also in einer langen Tradition unterwegs, was mich allerdings nicht davor schützt, mir gleich mal einen Finger anzuritzen. Die scharfe Schere, Sie wissen schon.

Dann geht alles ziemlich schnell. Eimer füllen, den Inhalt in die Butte kippen, weiter schneiden. Der Inhalt der vollen Butte wird in den Ernte-Anhänger gekippt, und wenn der nach etwa eineinhalb Stunden gefüllt ist, ist die tägliche Lese erledigt.

Nach der Weinlese fängt die Arbeit erst richtig an

Theoretisch könnte mehr geerntet werden, aber die Trauben müssen am selben Tag weiter verarbeitet werden, und da das Weingut Kirmann im Grunde ein Ein-Mann-Betrieb ist, sind die Kapazitäten begrenzt. So ist gegen halb zehn Schluss am Lästerberg, die Lesehelfer machen sich auf den Heimweg und Matthias Kirmann tuckert zurück auf sein Gut.

55 Weinlese Presse

Hier fängt die Arbeit erst richtig an. Den Trauben werden bestimmte Enzyme zugesetzt, dann werden sie vom Wagen in die Presse abgesaugt. Jetzt wird mit sanftem Druck der Most langsam aus den Trauben gepresst. Zurück bleibt der Trester, der nicht weiter verarbeitet wird.

Der Most kommt in einen Stahltank, dort setzt sich innerhalb eines Tages der sogenannte Trub ab, das sind kleinste Partikel von Schale und Fruchtfleisch, die im Most verblieben sind. Der klare Saft kommt dann in einen weiteren Tank, es wird Hefe zugesetzt und die eigentliche Gärung kann beginnen.

Das ist stark vereinfacht der Vorgang des Weinmachens – in der Realität ist es eine hochkomplizierte Angelegenheit, bei der schnell einiges schief gehen kann.

Nachdem die Trauben umgefüllt sind und die Pressung beginnt, ist Zeit für einen Kaffee und Erklärungen. Und schon nach ein paar Minuten ist mir klar: Wein herstellen ist eine Leidenschaft und die hat Matthias Kirmann verinnerlicht. Mir schwirrt der Kopf vor chemischen Fachbegriffen, vor Arbeitsabläufen, vor Erläuterungen, wie welche Traube unter welchen Bedingungen behandelt werden muss. Wein ist eine lebendige Angelegenheit, und alle Eingriffe in die natürlichen Abläufe erfordern Fachwissen, Erfahrung, Fingerspitzengefühl.

Hinzu kommt das Wichtigste: Permanentes Saubermachen. Alle Geräte, alle Eimer, alle Scheren müssen penibel gereinigt werden. Jede Verunreinigung kann unerwünschte Folgen haben.

Auch wenn zwischendurch Zeit ist für ein entspanntes Gespräch: Das Winzer-Dasein zur Lesezeit ist kein wirkliches Vergnügen. Der Tag beginnt für Matthias Kirmann morgens um sechs mit den ersten Vorbereitungen und endet gegen 22 Uhr mit den letzten Weiterverarbeitungen.

Am nächsten Tag ist der Hang am Dorothea-Milde-Weg in Quedlinburg an der Reihe. Hier, am „Bornholzweinberg“, wächst ebenfalls Weißburgunder, daneben auch Traminer, Müller-Thurgau und Riesling. Die gleiche Prozedur wie am Vortag: Schneiden, faule Trauben aussortieren, volle Eimer in die Butte kippen. Inzwischen bin ich an die Abläufe gewöhnt, der Rücken zwickt weniger, man arbeitet sich gemeinsam durch die Reihen, kann sich dabei über Fußball, die Gartenarbeit und andere wichtige Themen unterhalten oder stumm seinen Gedanken nachhängen.

55 Weinlese helferinnen

Einige der Helfer sind wie ich Neulinge, andere schon viele Jahre dabei. Alle kommen aus den umliegenden Orten, die längste Anfahrt hat ein sportlicher Radfahrer, der sich morgens aus Halberstadt auf den Weg in den Weinberg macht.

Nach der Weinlese gären rund 15.000 Liter in den Tanks

Wenn bis Mitte Oktober die gesamten 3,4 Hektar abgeerntet sind, werden rund 15.000 Liter in den Tanks gären. Das wird etwa 20.000 Flaschen ergeben. Die Ernte fällt dieses Jahr üppiger aus als in den vergangenen beiden sehr trockenen Jahren. Der relativ feuchte Sommer hat den Trauben gut getan.

Und die Qualität? Matthias Kirmann ist zuversichtlich: „Die wird ordentlich. Kein Spitzenjahrgang, aber sehr gute Weine.“

55 Weinlese Regal

Neun verschiedene Weine hat das Weingut Kirmann im Angebot: die Weißen aus Riesling, Traminer, Weiß- und Grauburgunder und die Roten aus Dornfelder, Spätburgunder und Cabernet Mitos. Dazu noch ein Rosé – alle als Deutsche Qualitätsweine beziehungsweise Prädikatsweine klassifiziert. Außerdem ein Hefebrand und der Brandy „Camel Rock“. Die Preise reichen von 11 Euro bis zu 22 Euro.

Und weil alles seine Ordnung haben muss, gehört das einzige Harzer Weingut zum Weinanbaugebiet Saale-Unstrut. Dessen Kerngebiet liegt zwar über 100 Kilometer entfernt, aber das spielt keine große Rolle. Wichtig bei der Zuordnung ist vor allem die Möglichkeit der Klassifizierung als Qualitäts- oder Prädikatsweine.

„Ich bin hier als Einzelkämpfer unterwegs, weit und breit baut sonst niemand Wein an“, sagt Matthias Kirmann. Dazu passt auch, dass man seine Weine fast nirgendwo kaufen kann. Nur wenige Händler haben die Kirmann-Produkte im Angebot, und auch die Zahl der Restaurants, die sie ausschenken, ist begrenzt. Man muss schon nach Westerhausen kommen und an der Hoftür klingeln. Aber der Weg lohnt – wer dort vorbeischaut, erhält neben einem herzlichen Empfang und ein paar guten Flaschen auch gleich einen Einblick in die Abläufe eines kleinen familiären Weinguts. Möglich ist natürlich auch eine Bestellung über die Webseite. Einfach „Harzer Weingut“ googeln, dort erfährt man alles.

55 Weinlese Kirmann

Letzte Frage: Wie ist das mit dem Klimawandel? Begünstigt der nördlich gelegene Weinanbaugebiete? Klare Antwort: Ja. Matthias Kirmann: „Der Weinanbau wird nach Norden wandern. Es wird ganz neue Anbaugebiete geben. Und für unseren Wein werden sich die Bedingungen verbessern.“

Dann bleibt jetzt noch das Warten auf den 23er Jahrgang. Etwa ab Ostern wird er in Flaschen gefüllt und steht zum Verkauf. Ich werde mich auf jeden Fall eindecken – weil die Qualität stimmt und weil in jeder Flasche etwas von den Trauben enthalten sein könnte, die ich mit geerntet habe.

Morgens um acht am Lästerberg.

55 Weinlese BZ

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