Der Sachsenspiegel im Kloster Wendhusen – und die Wiesn in Quedlinburg

Harzletter, der Vierundfünfzigste.

Manchmal finden die interessantesten Veranstaltungen gleich nebenan statt: Zum Beispiel im Kloster Wendhusen in Thale. Man muss es nur mitbekommen und hingehen – am besten ohne große Erwartungen und sich überraschen lassen. Jedenfalls war in Wendhusen eine mittelalterliche Gerichtsverhandlung nach den Regeln des Sachsenspiegels angekündigt.

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Sachsenspiegel? Das ist doch dieses mittelalterliche Rechtsbuch, geschrieben auch auf Burg Falkenstein, und Jahrhunderte lang in weiten Teilen Europas maßgebend für Gerichtsverhandlungen und Rechtsfragen.

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Geboten werden sollte also in Wendhusen eine Gerichtsshow auf mittelalterlich – da kann man schon mal zuschauen, und einigermaßen spannend wurde es auch; sogar ein Gottesurteil wurde geboten.

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Um diese vertrackte Angelegenheit ging es:

Waren die Männer des Grafen von Regenstein mit offenen Waffen verbotenerweise durch den Wald der adligen Anita von Lauingen geritten – oder hatten umgekehrt die Hunde der Waldarbeiter der Edlen von Lauingen das Pferd der Gräfin Arina von Regenstein so erschreckt, dass es seine adlige Reiterin abgeworfen und verletzt hatte? Und auf wessen Grund stand der Baum, der gefällt wurde, und einen Waldarbeiter verletzte? Aussage stand gegen Aussage, also fällte Richter Heinrich von Timmenrode eine salomonische Entscheidung, streng nach den Regeln des Sachsenspiegels: Die Sachlage kann durch Zeugen nicht geklärt werden, also muss ein Gottesurteil her. Ein Duell mit Pfeil und Bogen soll über Recht und Unrecht entscheiden.

Die Nordharzer Altertumsgesellschaft e.V. hatte zu dieser Vorführung eingeladen und bei strahlendem Herbstwetter trafen sich Mittelalter-Interessierte zum Bogenschießen, Wurfspielen und eben zur Vorführung des Sachsenspiegels in Wendhusen. Heinz A. Behrens, Vorsitzender des Vereins und nebenbei Richter-Darsteller, erklärte: „Wir interessieren uns für das mittelalterliche Leben, haben aber mit den üblichen Mittelalter-Märkten nichts zu tun. Neben Bogenschießen und Tuchweben wollen wir den Sachsenspiegel, das älteste Rechtsbuch des Mittelalters, den Menschen näher bringen.“

In Wendhusen wird das Mittelalter greifbar

Was zunächst ziemlich trocken klingt, wird handfest und greifbar, wenn es anhand eines normalen mittelalterlichen Falles dargestellt wird. Noch einmal Heinz A. Behrens: „Bei Mittelalter denkt man schnell an Folterungen oder Hexenverbrennungen. In Wirklichkeit ging es meist um Streitereien, die mit Geld geregelt wurden.“

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Doch bevor es richtig losgehen kann mit der Verhandlung, müssen vor Ort ein paar Grundregeln des Sachsenspiegels erklärt werden. Gerichtsverhandlungen finden nur unter freiem Himmel und bei Tageslicht statt, es gibt neben dem Richter einen Schultheiß, der sich in Rechtsfragen auskennt und auf die ordnungsgemäßen Abläufe achtet, und den Frohnboten, der die Zeugen herbei schafft, Bußgelder eintreibt und mit einer Keule im Arm für Respekt sorgt. Alle natürlich in historisch korrekten Kostümen. Außerdem gehören zu einem mittelalterlichen Gericht mehrere Schöffen, die bei der Urteilsfindung mithelfen.

Es gibt keine Hinterzimmer-Beratungen, keine Vertagungen – alles ist öffentlich und das Urteil wird sofort vollstreckt.

Der Gerichtskreis in Wendhusen liegt unter einem Walnussbaum, von dem drohend ein Galgenstrick baumelt. So ist gleich klargestellt, was im schlimmsten Fall drohen kann.

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In besagter Wald-Angelegenheit tritt Graf Ulrich III von Regenstein (gespielt von Heinz Ulrich Schmidt) als Kläger auf, Beschuldigte ist Anita von Lauingen (Anita Hüsel), die sich vehement gegen die Vorwürfe wehrt. Als Zeugen treten die Jagdaufseher beider Parteien auf, sowie eine Waldbäuerin und verschiedene Knechte. Dabei geht es zu wie im richtigen Leben: Der eine will dies gesehen haben, die andere das Gegenteil. Nichts Genaues kann ermittelt werden. Die etwa 30 Besucher gehen auf den Zuschauerbänken konzentriert und amüsiert mit, und die Schöffen, die vorher unter den Besuchern ausgewählt wurden, stellen Nachfragen zum Sachverhalt und versuchen, die Angelegenheit aufzuklären.

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Auf die Art wird Geschichte und Mittelalter wirklich lebendig. Der Sachsenspiegel, der zwischen 1220 und 1235 von Eike von Repgow verfasst wurde, ist das erste Rechtsbuch des Mittelalters überhaupt, aufgeschrieben in mittelniederdeutsch – statt wie damals üblich in Latein – und wurde angewandt bis ins 18. Jahrhundert. Er war die Vorlage für eine Reihe anderer Rechtsbücher, wurde schnell allgemein akzeptiert und war Grundlage der Rechtssprechung von Skandinavien bis nach Süddeutschland und vom Baltikum bis in die Niederlande. Viele umgangssprachliche Wendungen, die heute heute noch in Gebrauch sind, stammen aus dem Sachsenspiegel: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, „in die Hand versprechen“, „um Kopf und Kragen reden“, „auf einen grünen Zweig kommen“ sind nur einige Beispiele.

Aber jetzt musste ein Gottesurteil her. Pfeil und Bogen sollen mit Gottes Hilfe die Sachlage klären und Gerechtigkeit herstellen. Für den Grafen trat dessen Jagdaufseher (Clemens Heinzerling) an, Anita von Lauingen vertraute ihren Knecht (Roland Stelzer). Jeweils fünf Schuss aus 20 Schritt Entfernung wurden vereinbart, Richter, Schultheiß und Frohnbote überwachten den Ablauf und dann ging es ganz schnell.

Zehn Pfeile flogen unter dem Beifall der Zuschauer in die Strohscheibe, Richter Heinrich zählte und verkündete das Ergebnis: Die höhere Gewalt gibt der Edlen von Lauingen Recht, ein paar Details mussten noch entschieden werden, dann war der Rechtsfrieden wieder hergestellt.

Nach diesen nervenaufreibenden Vorgängen drängte es alle Beteiligten zu Kaffee und Kuchen im schönen Klostergarten.

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Und ich durfte auch noch in der Mitteldeutschen Zeitung drüber schreiben.

Quedlinburger Wiesn. Diese Ankündigung und der Zelt-Aufbau auf der Kleers-Wiese haben mich mehr als neugierig gemacht. Immerhin habe ich zwölf Jahre in München gelebt und kenne das Original einigermaßen gut. Und den Versuch, eine sachsen-anhaltinische Kopie auf die Beine zu stellen, finde ich mutig.

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An zwei Wochenenden (29./30.09. und 06./07.10.) wird im Zelt Vollgas gegeben. Die Eintrittspreise haben schon mal bayerisches Niveau: Bei eventim kostet das normale Ticket 29,60 Euro, die VIP-Version geht für 59,70 raus. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich meine (lange!) Hirschlederne und die Haferl-Schuhe anziehe und mir einen Abend gönne. Das Bier sollte jedenfalls ok sein – Spaten ist beste Münchner Qualität (Unter anderem Schottenhamel, Ochsenbraterei auf der Wiesn).

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Wenn ich allerdings auf der Ankündigungskarte von „ein Maß Bier“ lese und daneben ein Glas sehe, das alles mögliche ist, aber kein Maßkrug, dann bekomme ich Zweifel. Es heißt e i n e Maß – die Maß (oder auch Mass) ist sowas von weiblich, das sollten Wiesn-Veranstalter wissen. Beim Bier hört der Spaß bekanntlich auf. Eine Maß ist übrigens ein Liter Bier, just saying.

Der Newsletter der vergangenen Woche über die Sandsteinhöhlen im Heers findet sich hier.

Über Triathlon und die „Hölle von Q“ gibt es hier zu lesen.

Und die Minnesänger/innen auf Burg Falkenstein werden hier abgefeiert.

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