Harzletter, der Fünfzigste.
September ist Wanderzeit. Zu Fuß oder mit dem Rad: Hauptsache draußen. Da will ich natürlich dabei sein und habe mich für einen Tag aufgemacht ins Selketal.
Die Selke ist ein kleines Flüsschen, eher ein Bach; sie entspringt bei Stiege, schlängelt sich durch Güntersberge, Alexisbad und Mägdesprung und verlässt den Harz bei Meisdorf – sie fließt also komplett durch Sachsen-Anhalt. Von Mägdesprung bis Stiege wird sie begleitet von der Selketalbahn, einem Teilstück der Harzer Schmalspurbahnen (HSB).
Los geht’s am Bahnhof in Quedlinburg, wo Dampflok oder Oldtimer-Schienenbus Richtung Selketal losfahren. Jeden Morgen um 8:30 und 10:30 Uhr, von Donnerstag bis Samstag zusätzlich um 9:40.
Der Clou: Die Selketalbahn ist im Deutschlandticket inbegriffen – und auch der Fahrrad-Transport ist inklusive. An den Dampfzügen ist immer ein Gepäckwagen angehängt; der freundliche Schaffner hilft beim Verladen.
Ein Lächeln im Gesicht
Sehr gemütlich zuckelt der Zug Richtung Gernrode dem Harz entgegen. Dampflokfahren entschleunigt sofort: Gemütliches Radfahrer-Tempo, die Lok pfeift lautstark, man kann zwischen den Wagen draußen auf der Plattform stehen, alle Mitfahrenden haben irgendwie ein Lächeln im Gesicht.
Hinter Gernrode fährt die Bahn unmittelbar am Osterteich entlang, einem wunderbaren Badesee mit flachem Sandstrand und Pommesbude, mitten im Wald gelegen. Und er hat eine eigene Haltestation, an der auf Verlangen gestoppt wird. Der Osterteich dürfte die einzige Bademöglichkeit im Harz sein, die direkt mit einer Dampflok angefahren werden kann. Falls also das Wetter passt, könnte man überlegen, das Wandern bleiben zu lassen und den Tag am Wasser zu verbringen – Abends bringt einen die HSB wieder nach Quedlinburg zurück.
Aber wir haben ja Größeres vor und dampfen deswegen weiter nach Mägdesprung. Etwa 50 Minuten dauert die Fahrt, der Zug schiebt sich heftig keuchend durch den Wald den Berg hinauf. Apropos Wald: Hier und im ganzen Selketal gibt es ihn noch, in sattem Grün. Kein Borkenkäfer und kein Nadelbaum weit und breit.
In Mägdesprung stößt die Selketalbahn auf die Selke. Und wir folgen jetzt mit dem Tourenrad deren Verlauf. Eine schmale, wenig befahrene Straße führt Richtung Selkemühle am Fluss entlang – wer zu Fuß unterwegs ist, nimmt den Selketalstieg, einen Wanderweg direkt am Flussufer. Es plätschert, es gluckert, dazu dramatische Felsen am Wegesrand – es ist die reine Idylle.
Ein Highlight im Selketal: das Carlswerk
Vorher, am Ortsausgang von Mägdesprung aber noch eine museales Highlight. Das Carlswerk ist eine ehemalige Maschinenfabrik, der turnhallengroße Backsteinbau ist feinste Industriearchitektur und dort wurde bis nach der Jahrtausendwende tatsächlich gearbeitet. Von Donnerstag bis Montag stehen die Türen offen, alle Maschinen sind noch da, ein paar Ehemalige vertreiben sich drinnen die Zeit und erklären gern, wie es dort früher zuging.
Der Weg durch das Tal führt vorbei an so merkwürdigen Ortsschildern wie „1. Hammer“ oder „2. Hammer“. Es sind die Standorte der ehemaligen Hammerwerke, die in Verbindung mit der Eisenproduktion in Mägdesprung errichtet wurden.
Nach etwa fünf Kilometern taucht der „Selketaler Waldgasthof“ auf; ein perfekter Platz, um (leider nur am Wochenende) draußen bei Kaffee und Kuchen zu überlegen, ob man den Weg fortsetzt bis zur Burg Falkenstein, oder zurück geht, um den Bahngleisen zu folgen. Beides ist empfehlenswert – Falkenstein ist ein absolutes Harz-Highlight – aber wir sind heute auf Dampflok eingestellt.
Also zurück und über Mägdesprung weiter nach Alexisbad. Hier sind Wanderer klar im Vorteil, denn sie können weiter auf dem Selketalstieg unterwegs sein, während Radlern nur die B 185 bleibt. Das ist zeitweise durchaus stressig, besonders, wenn sich von hinten schwere Lkw nähern; ich bin froh, als sich nach vier Kilometern die Häuser von Alexisbad nähern und ich auf einen Bürgersteig ausweichen kann. Beim Thema Radwege gibt es im Harz reichlich Nachholbedarf; nicht jeder will schließlich mit einem Mountain Bike durch den Wald brettern.
Alexisbad hat eine große touristische Vergangenheit, von der nunmehr wenig übrig geblieben ist. Das sieht man am besten am ehemaligen Erholungsheim der deutschen Reichsbahn: Der dekorative Bau mit den sehr markanten Türmchen steht seit der Wende leer und rottet still und unaufhaltsam vor sich hin.
Harzer Knaller und ein filmreifer Bahnhof
Kurze Kaffeepause, dann geht es auf die letzte Etappe nach Silberhütte. Zu Fuß wieder entlang des Selkestiegs, mit dem Rad bleiben wir auf der Straße, die jetzt aber eine ruhige Landstraße ist. Silberhütte, der Name sagt es, hat eine lange Bergbau- und Verhüttungstradition. Zu DDR-Zeiten wurde hier unter anderem Feuerwerk (Harzer Knaller!) hergestellt, heutzutage gibt es eine Munitionsfabrik von Rheinmetall. Von Harzromantik mit dekorativen Fachwerkhäusern ist wenig zu sehen, aber oberhalb des Ortes liegt der Fürstenteich und gleich nebenan die ganz aus Fichtenholz gebaute Waldkirche. Sehenswert!
Das reicht für einen Wandertag; zurück geht es wieder mit der Schmalspurbahn. Der Bahnhof Silberhütte ist dabei ein besonderes Erlebnis: Er wirkt stillgelegt, zwischen den Gleisen blüht der Löwenzahn, gegenüber ein abgebranntes Fabrikgelände. Es fehlt nur noch ein Mann in einem langen Mantel, der Mundharmonika spielt – dann wäre die Western-Filmkulisse perfekt.
Der Oldtimer-Schienenbus kommt pünktlich und laut pfeifend um die Kurve, das Rad wird verladen und dann geht es gemächlich zurück nach Quedlinburg.
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Die Hölle von Q
Der kommende Sonntag (3. 9.) ist Triathlon-Tag. Dann findet „Die Hölle von Q“ statt, der härteste Triathlon nördlich der Alpen (so die Eigenwerbung). 2 Kilometer Schwimmen im Ditfurter See, dann 83 km auf dem Rad quer durch den Harz bis nach Thale und von dort 21 km Laufen mit dem Ziel Marktplatz Quedlinburg. Ganz kurz vor der Ziellinie kommen die Teilnehmer durch die „Hölle“ – die gleichnamige Straße – auch deswegen der knackige Name der Veranstaltung. Über 600 Athletinnen und Athleten sind gemeldet, darunter etliche Hochkaräter, die schon bei Olympia und Weltmeisterschaften am Start waren.
Los geht es um 6:40 Uhr am Ditfurter See, die Ersten werden frühestens ab 10:45 im Ziel erwartet. Ich will natürlich (als Zuschauer) dabei sein – ob ich es zum Start an den See schaffe? Mal sehen.
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Der Newsletter der vergangenen Woche über die Minnesänger auf Burg Falkenstein findet sich hier.
Über die Quedlinburger Bimmelbahn gibt es hier zu lesen.
Und eine Motorrad-Runde nach Hüttenrode findet hier statt.