Harzletter, der Sechsunddreißigste.
Wie vergangene Woche angekündigt, folgt hier der zweite Teil zu Langenstein im Harz:
Nach den Höhlenwohnungen wird es nun wesentlich luxuriöser. Es geht um Schloss Langenstein und einem Zusammentreffen dort im Jahr 1783.
Zum einen ist da Maria Antonia von Branconi (1746 – 1793), zu ihrer Zeit allgemein als „schönste Frau Deutschlands“ bezeichnet und ab 1777 Schlossherrin in Langenstein. Die Branconi, wie sie allgemein bezeichnet wurde, war nicht nur auffallend schön – es gibt reichlich zeitgenössische Berichte darüber, welchen starken Eindruck sie auf Männer und Frauen machte – sie hatte auch ein ziemlich bewegtes Leben, war musisch begabt und mit Adligen und Geistesgrößen bestens bekannt.
Und jetzt kommt Johann Wolfgang von Goethe ins Spiel.
Er lernte die Branconi auf seiner Schweiz-Reise 1779 in Zürich kennen und war tief beeindruckt. In Briefen an Charlotte von Stein schrieb er ausführlich über „die schöne Frau“ (so nannte er sie), ein Jahr später trafen sie sich in Weimar wieder, wohin die Branconi am 26. und 27. August reiste, und es muss heftig geknistert haben.
Goethe erwiderte diesen Besuch während seiner zweiten Harzreise 1783. Die Details dieser Fahrt sind wunderbar nachempfunden in „Im Labyrinth der Täler“, einem historischen Roman. Der Autor Bernd Wolff, aufgewachsen in Werningerode und später als Lehrer in Blankenburg tätig, unternahm den literarischen Versuch, die drei Harzreisen Goethes anhand der vorhandenen Briefe und Dokumente historisch möglichst korrekt in drei Bänden nachzuempfinden – und vieles aus der damaligen Zeit und der Gedankenwelt des Dichters wird auf diese Art unmittelbar nachvollziehbar. Klar, es ist viel Spekulation und schriftstellerische Phantasie dabei, aber die Zeit und die Ereignisse werden lebendiger, als dicke Biografien und literaturwissenschaftliche Texte das vermitteln können.
Der Aufenthalt Goethes in Langenstein dauerte lediglich zwei Tage (und Nächte), laut Wolff hatte das Wiedersehen des Dichters mit der Branconi eine sehr erotische Komponente (zwei attraktive suchende Seelen in einem abgelegenen Schloss etc.) und die spannende Schlüsselloch-Frage ist: Haben sie oder haben sie nicht, beziehungsweise: Kam es zum Äußersten?
Die fast einhellige Meinung der Literaturwissenschaft lautet: Sie haben nicht – denn zum einen war Goethe in Begleitung von Fritz, dem Sohn von Charlotte von Stein, und von seinem Diener Christoph Sutor; und außerdem reiste er nach besagten zwei Tagen reichlich überstürzt ab. Wie schon in früheren Situationen, schien er zu fliehen, wenn eine Beziehung ihn einzuengen drohte (siehe: Friederike Brion, Charlotte Buff, Lilli Schönemann). Außerdem gilt es inzwischen als ziemlich wahrscheinlich, dass er erst während seiner Italienischen Reise 1786/87 in Rom entjungfert wurde.
Soviel zu den Fragen, die vor allen die BUNTE-Leserin interessieren.
In Langenstein lebte die Branconi, nachdem sie rund zehn Jahre lang offizielle Mätresse der Braunschweiger Thronfolgers und späteren Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand war. Der – obwohl seit 1764 verheiratet – hatte sie 1766 auf seiner in besseren Kreisen üblichen „Grand Tour“ in Italien kennengelernt und mit ins heutige Niedersachsen gebracht. 1967 wurde der gemeinsame Sohn Karl Anton Ferdinand geboren, 1777 erfolgte der Bruch und der Umzug der Branconi von Braunschweig nach Langenstein.
Maria Antonia von Branconi, geboren in Genua, war das Kind deutsch-italienischer Eltern und wurde schon als Zwölfjährige mit einem wesentlich älteren Mann verheiratet. Mit 20 war sie bereits Witwe, dann kam der verheiratete Braunschweiger vorbei. So waren die Sitten im ausgehenden 18. Jahrhundert – zumindest was den Adel betraf.
Schloss Langenstein ist heute eine schön renovierte, schön gelegene und ziemlich überschaubare Anlage, die seit 1998 als Therapiezentrum für Autisten genutzt wird. Direkt hinter dem Schlossgebäude beginnt ein bemerkenswerter Park mit sehr altem, sehr beeindruckendem Baumbestand.
Goethe besuchte nach seiner Abreise Halberstadt und machte sich dann mit seinen Begleitern auf eine Tour durch den Harz. Die Branconi verließ in den folgenden Jahren das abgelegene Langenstein so oft wie möglich Richtung Schweiz und Italien. 1791 war sie das letzte Mal im Schloss. Sie und der Dichter begegneten sich nicht wieder.
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Kleine Quedlinburger Zufalls-Begegnung beim samstäglichen Gang über den Wochenmarkt: Laute Musik und ein kleiner Menschenauflauf an der Rathaustreppe. Darauf ein Mann in auffällig gestreiftem Anzug, der einen ziemlich üppigen Haufen Kronkorken von dieser Treppe fegt. Klare Sache: Da ist wieder jemand 30 geworden und ist noch unverheiratet. Nach altem – ursprünglich aus Bremen stammenden – Brauch muss dann die Treppe öffentlich gefegt werden, bis laut Wikipedia „eine Jungfrau des Weges kommt und den Fegenden küsst“. Dazu kam es, soweit ich das mitbekommen habe, in Quedlinburg an diesem Samstag nicht, aber lustig war’s auch so.
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Der Newsletter der vergangenen Woche über die Langensteiner Höhlenwohnungen findet sich hier.
Über den Baumwipfelpfad gibt es hier zu lesen.
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Dass dieser Newsletter ein bisschen später als gewohnt kommt, liegt am Fußball. Der letzte Spieltag der Bundesliga mit seiner Dramatik und der unfassbaren Blödheit der Dortmunder Mannschaft haben mich schwer mitgenommen und am rechtzeitigen Versenden gehindert. Sorry, sollte nicht sein, gehört auch eigentlich nicht hierher, aber so is Lebbe (um einen bekannten Frankfurter Fußball-Philosophen zu variieren.
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